Ironman Zürich 2018

Sonntag Morgen, der Wecker klingelt um 3 Uhr – dennoch von Müdigkeit keine Spur. Hellwach gehe ich in die Küche, schütte mein Müsli in die Schale und schalte die Kaffeemaschine ein. Es ist der 29. Juli 2018 – Renntag des Ironman Zürich. Nachdem ich im Vorjahr bei der Challenge Roth am Start stand, war für mich schnell klar, dass es nicht die letzte Langdistanz bleiben würde. Meine Wahl fiel relativ schnell auf den Ironman Zürich, auch, da es aufgrund des Umzuges in den Raum Waldshut – Tiengen nun fast ein Heimspiel war. Zudem zeigte ein Blick auf die Qualifkationszeiten aus dem Jahr 2017, dass man in der AK 30-34 mit einer Zeit zwischen 9:30h und 9:35h noch gute Chancen auf einen Hawaii Slot haben würde. Natürlich kann man eine 9:26h in Roth nicht automatisch in eine 9:30h in Zürich verwandeln, aber mit einem Jahr mehr Training und dem perfekten Tag wäre es vielleicht im Bereich des Möglichen!

Dennoch habe ich an der Art und Weise der Vorbereitung im Vergleich zum Vorjahr nichts großartig verändert – kein Trainingsplan, kein streng durchgeplanter Formaufbau. Ich habe einfach versucht, neben den Touren auf dem Rennrad regelmäßig 2-3-mal pro Woche zu schwimmen und zu laufen. Schließlich geht es nicht mehr darum, unbedingt irgendein Ziel zu erreichen. Es sollte schon so sein, dass immer noch der Spaß an dem Erlebnis selbst im Vordergrund steht. So waren es bis zum Renntag 135 Km Schwimmen und 720 Km Laufen, die ich im Jahr 2018 neben den Radeinheiten absolviert habe. Ich fühlte mich gut und war voller Vorfreude auf das Rennen. Auch mein Rennplan für den Tag X war schnell gefunden: 1:10h schwimmen, 4:30h auf dem Rad und 3:40h für den Marathon. Plus jeweils 5 min für beide Wechsel ergäbe das eine Endzeit von 9:30h – so die Theorie.

Bereits die gesamte Woche vor dem Rennen war es sehr heiß, so dass es mit großer Wahrscheinlichkeit ein Schwimmen ohne Neoprenanzug werden sollte. Für jeden der nicht so guten Schwimmer – so auch mich – keine schöne Vorstellung. Dennoch ging ich aufgrund der sehr hohen Temperaturen in der Vorwoche am Morgen im Auto bereits sicher davon aus, dass der Neo wohl in der Tasche bleiben wird. Mental entsprechend bereits vorbereitet war es dann auch kein besonders großer Schock, als einer der Kampfrichter morgens um 5 durch die Wechselzone lief und jedem ein freundliches „No wetsuit today“ entgegenrief. Ok kein Problem dachte ich und lies mich bei den letzten Vorbereitungen am Zeitfarrad nicht großartig ablenken oder aus dem Konzept bringen. Schaltung noch einmal prüfen, Luft aufpumpen und die Flaschen verstauen – alles war fertig und ich war bereit! Ein letzter Check der Wechselbeutel und dann ging es gemeinsam mit Maria, Christoph, Mama und Papa, die alle extra den weiten Weg für mich nach Zürich gekommen waren, auf zum Schwimmstart.

Trotz der der natürlich großen Aufregung versuchte ich, alles so ruhig wie möglich ablaufen zu lassen – Anzug einrollen, etwas Vaseline auf die Schulter, Schwimmanzug anziehen, ein letzter Stoß „Anti fog“ auf die Brille, Badekappe auf. Ich glaube auf einer Langdistanz ist es das erste Gebot, das du niemals in Hektik verfallen oder panisch werden darfst. Das ich diesbezüglich kurze Zeit später noch auf eine harte Probe gestellt werden würde, habe ich da noch nicht geahnt. Dann war alles gerichtet, und ich war bereit für den Start. Ein letztes Mal nahm ich Maria in den Arm, klatschte mit Christoph, Mama und Papa ab, atmete tief durch und ging zum großen Ironman Bogen, der den Schwimmstart am Ufer des Zürichsee markierte. Und dann waren sie da, diese ganz besonderen 5 min vor dem Start – für Manchen sind sie furchtbar, ich liebe dieses ganz besondere Vorstartgefühl. Man steht in mitten von hunderten Athleten, jeder ist aufgeregt, jeder zupft nervös an Brille und Kappe herum. Und dennoch bist du innerlich völlig im Tunnel, konzentrierst dich nur auf dich und alles läuft fast wie im Autopilot ab! Jetzt gibt es kein zurück, jetzt kannst du zeigen was du drauf hast.

Dann ging es los, alle 5 Sekunden starteten 10 Agegrouper im „Rolling Start“. Etwa 5 min nach dem ersten Starter sprang auch ich ins kristallklare Wasser und fühlte mich direkt vom ersten Armzug an wohl. Ich fand sofort meinen Rhythmus und schwamm etwa das zuvor anvisierte Tempo von 1:45 min/ 100m. Einzig die gerade malerisch über den Bergen aufgehende Sonne machte großteile des ersten Kilometers regelrecht zu einem Blindflug, da die Strecke auf diesem Teil genau gen Osten führte. Der ein oder andere Brustzug half jedoch bei der Orientierung und nach einem Richtungswechsel war die Sicht kein Thema mehr.  Das gute Gefühl vom Anfang hielt indes auch gegen Mitte und Ende des Schwimmens an. Die Blicke auf den Garmin gaben ein positives Feedback und ohne allzu große Mühe schwamm ich das Tempo konstant bis zum Ende durch.

Nach gut 1:09h erreichte ich den Schwimmausstieg, gerade ohne Neo war ich sehr glücklich mit der Zeit und freute mich nun, dass es endlich auf das Rad geht. Auf den gut 300m vom Seeufer bis zur Wechselzone rollte ich bereits den Schwimmanzug herunter und zog den Trisuit nach oben. Auch der Wechselbeutel war zügig gefunden. Ab ins Wehselzelt, Socken und Radschuhe an, Helm auf und Riegel in die Tasche, bis hierhin hatte alles perfekt funktioniert. Dann stand ich auf und wollte den Reißverschluss meines Anzuges auf dem Rücken zuziehen – und dann passierte es. Da der Anzug noch nass war, klebte er auf dem Rücken, ich zog zu stark am Band und der Reißverschluss riss auf einer Seite heraus. Mir schossen in diesem Moment 1000 Gedanken durch den Kopf: „Nein das darf nicht wahr, was nun, so eine veradmmte Sch….!“ Ich versuchte noch etwa 3-4 Minuten lang, gemeinsam mit einem Helfer den Anzug reparieren, jedoch ohne Erfolg. Ich bin ehrlich, ich dachte auch kurz daran, ob es überhaupt Sinn macht, das Rennen so fortzusetzen. Aber nein, so einfach wollte ich nicht kapitulieren, „komm scheiss drauf, bleib cool und fahr los“.

Und das tat ich dann auch. Ich lief zu meinem Rad und ab ging es auf die Radstrecke. Ab da versuchte ich, keinen Gedanken mehr an den Anzug zu verschwenden und konzentrierte mich weiter auf mein Rennen. Die gesamte Radstrecke hatte ich mir im Vorfeld mehrmals angeschaut und bereits da gemerkt, dass die 2 Runden á 90 Km trotz der nur 1500 HM eine echt harte Nummer werden würden. Es gab keine Stelle, an der man sich ohne großartigen Zeitverlust hätte erholen können. Selbst auf den Abfahrten war dies schwierig, da diese technisch doch ziemlich anspruchsvoll waren.

Auch auf dem Rad fühlte ich mich aber trotz der Probleme beim Wechsel von Beginn an gut und fuhr auf den ersten 27 flachen Kilometern einen Schnitt von über 46 Kmh, ohne jedoch dafür zu sehr pushen zu müssen. Für die folgenden Anstiege hatte ich mir ein Limit von 350w gesetzt, da ich zu keinem Zeitpunkt des Radfahrens über meine Schwelle gehen wollte. So verging Minute um Minute und nach 85 Km kam ich das erste Mal zum Haertbreak Hill, wo Christoph und Maria mit einer frischen Flasche warteten. Ein paar aufmunternde Worte und weiter ging es – zu diesem Zeitpunkt lag ich wieder voll im Plan.

Die zweite Runde wollte ich ein Stück ruhiger fahren als die erste, um für den Marathon noch genügend Körner zu haben. Auch die immer weiter steigenden Temperaturen machten sich langsam bemerkbar und an den Anstiegen war es teilweise brütend heiß. Aber an diesem Tag war es nicht nur die bloße Hitze, mit der ich zu kämpfen hatte. Bereits nach dem Schwimmen hatte ich einige Probleme, mich ausreichend und genügend zu verpflegen. Vorallem trinken konnte ich nur sehr sehr wenig, da der Magen einfach nichts aufnehmen wollte. Irgendwie war es eine verrückte Situation. Du weißt du musst trinken und essen, wenn es aber nicht rein geht, dann bist du ein Stück machtlos. Ich versuchte es immer wieder mit vielen ganz kleinen Schlucken, was jedoch auch nur bedingt funktioniert hat. Insgesamt habe ich auf den 180 Km dann nur 3 Flaschen a 750 ml getrunken, das sollte sich noch sehr böse rächen.

Nach 150 Km konnte ich dennoch die Führung in meiner Altersklasse übernehmen. Das gab natürlich Motivation als mein Papa mir das vom Streckenrand aus zugerufen hatte. Ich war also auf Kurs und wollte die letzten 20 Radkilometer so ruhig als möglich zu Ende fahren. Allerdings war dieses gute Gefühl vom Anfang nicht mehr so da, vielmehr fühlte ich mich ein Stück weit „ausgetrocknet“. Ich denke das Gefühl kennt jeder, wenn du an einem warmen Sommertag 5 h Rad gefahren bist und nicht genug getrunken hast.


Nun gut, ich konnte es eben an diesem Tag nicht ändern und musste das Beste daraus machen. Bei der zweiten Überfahrt am Haertbreak Hill bei Kilometer 175 signalisierte mir Christoph 3 min Vorsprung in der AK und Gesamtrang 9 (aller Starter inkl. Pro´s). Ein kurzer Klaps auf den Hintern und ein „Komm Junge“ machten die bis 14 % Steigung auch nochmal etwas erträglicher! Die Moral war also trotz aller Probleme weiter ungebrochen und die Radzeit von 4:32 h  (Runde 1 in 2:13h und Runde 2 in 2:17h) lies mich vollen Mutes die zweite Wechselzone ansteuern. Diese war zu diesem Zeitpunkt auch noch so gut wie leer und ein Helfer wartete bereits mit meinem Wechselbeutel in der Hand auf dem Weg zum Wechsezelt.

Helm aus, Laufschuhe an und ab auf die letzten 42,2 km (4 Runden a 10,5 Km). Für einen Marathon von unter 3:40h hätte ich konstant eine pace von etwa 5:15 min/km laufen müssen. Eigentlich nach den letzten Eindrücken aus Paris und dem Training kein Hexenwerk – eigentlich. Bereits ab dem ersten Meter merkte ich, dass ich körperlich nicht mehr da war, wo ich hätte sein sollen. Bereits nach 500m bekam ich den ersten Krampf im Oberschenkel, die Beine wollten einfach nicht mehr. Dennoch versuchte ich, zumindest ansatzweise die Zielpace anzulaufen  und mit 5:08 auf Kilometer 1 und 2 klappte das auch noch. Allerdings fühlte sich das bereits zu diesem Zeitpunkt wie das absolute Maximum an und ich spürte, dass das nicht mehr lange gut gehen wird.

Es kam, was kommen musste, bei Kilometer 4 war die pace schon nahe an 6:00 und ich schleppte mich förmlich nur noch voran. Ich wusste zu diesem Zeitpunkt nicht mehr, wie ich die letzten 38 Km überhaupt überleben sollte – es war einfach noch so unheimlich weit und Hawaii gefühlt eh schon ganz weit weg. Gerade diese erste Laufrunde brachte mich mental an meine absoluten Grenzen, dass zu diesem Zeitpunkt vorallem absolute Top Läufer auf der Strecke waren und mit einer Pace von deutlich unter 4:00 gerade nur so an mir vorbei flogen machte es nicht besser. Auch von außen konnte keiner helfen, da sowohl Mama und Papa als auch Christoph und Maria erst noch von der Radstrecke zurückkommen mussten. Dennoch, nach jeder Kurve flehte ich förmlich danach, dass irgendjemand von den Liebsten da steht, um es ein wenig erträglicher zu machen.

Es dauerte gefühlt eine halbe Ewigkeit, bis kurz vor Ende der ersten Laufrunde, als meine Eltern da standen und versuchten, mich irgendwie am Laufen zu halten. „Wo ist Maria fragte ich – ich brauche sie“ (Vielleicht kurz zur Erklärung, sie war die ganze Zeit während des Rennens bei Christoph, da der mir jedoch immer die Verpflegung angereicht hat, war ich so sehr auf ihn konzentriert, dass ich sie überhaupt nicht gesehen habe – so dann auch zu Beginn der zweiten Laufrunde).  Kurz um, ich war mental am Ende, körperlich ging gar nichts mehr, diese unerträgliche Hitze, jeder Schritt war eine Qual und gefühlt hat es für mich Lichtjahre gedauert, bis mich endlich wieder jemand anfeuern oder mir Mut machen konnte.

Zermürbende 10 km und unzählige verzweifelte Blicke später – Ende der zweiten Runde – wartete dann Maria am Streckenrand und lief ein paar Meter neben mir her. „Du gibst nicht auf, du schaffst das“ – es sind so banale Worte, aber von den richtigen Menschen geben sie dir die Kraft das du weiter machst! Sie nahm noch kurz meine Hand und dann lief ich weiter – „egal was passiert, du gibst hier nicht auf“, dass waren meine Gedanken. Hätte sie nicht da gestanden, ich weiß nicht ob ich die dritte Runde noch angefangen hätte…. Es ging längst nicht mehr um Hawaii, es ging darum nicht aufzugeben. Auch Christoph tat jede Runde alles was er konnte, um mich nicht aufgeben zu lassen!

Und so lief ich weiter, die pace schwankte immer um die 5:40, mal schneller, mal langsamer. Zu Beginn der vierte Runde bekam ich nach einer Verpflegung auch noch Seitenstechen und musste einige hundert Meter komplett gehen – glücklicherweise war da gerade meine Mama neben mir. „Komm es sind nur noch 7 Km“ und natürlich lief ich weiter. Ab da war es wie ein Intervallauf, von Verpflegung zu Verpflegung, immer im Wechsel gehen und laufen. Aber die Kilometer gingen vorbei und nach 41,5 Km gab es endlich den vierten Haargummi, ja ich durfte nun endlich nach links ins Ziel abbiegen. Ich quetschte nochmal aller heraus was ging und nach exakt 4:00 h war der Marathon endlich vorbei, endlich durfte ich aufhören, endlich einfach nur liegen!

Am Ende stand eine Gesamtzeit von 9:52h, Platz 18 in der Altersklasse 30-34 und Platz 91 Overall. Es war nicht der perfekte, sondern es war ein guter Tag und eine Leistung, mit der ich auch mit einigem Abstand sehr gut leben kann. Ein Tag am an dem mich gequält habe wie nie zuvor, an dem ich den Problemen getrotzt und schlussendlich nie aufgegeben habe. Aber Hätte ich es an diesem Tag alleine geschafft? Nein, ich glaube das hätte ich nicht. Ohne die 4 wichtigsten Menschen in meinem Leben wäre es wohl zu viel des Guten gewesen, der kaputte Anzug, die Hitze, die Gewissheit dass es nicht wir für einen Hawaii Slot reichen wird. Aber sie haben mir die Kraft gegeben weiter zu machen, danke das ihr alle da wart…. Und danke an alle die auch aus der Ferne mitgefiebert haben!

Eines steht aber jetzt schon fest – es wird nicht der letzte Ironman gewesen sein!

 

 

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